Tauschte Infinity Pool gegen Südtribüne.

Spontaneität wird unterschätzt. Ganz sicher. Angemessene Verrücktheit ebenfalls. Ebenfalls ganz sicher. Und zu Unrecht, denn sie kann zu den großartigsten Erlebnissen führen. Zum Beispiel dazu, dass man ein BVB-Spiel nicht, wie eigentlich geplant, in einer Hamburger Kneipe ansieht, sondern schneller, als man es selbst realisieren kann, die eigene Südtribünen-Premiere feiern darf. Aber von vorn.

Eigentlich lag alles am Hamburger Schnee. Als ich am Freitagmorgen aufwachte, waren sowohl meine Facebook- als auch meine Twitter-Timeline voll mit Wetter-Updates. Neben Jubelschreien und Beschwerden fand ich da aber auch den Link auf eine Spiegel Online-Fotostrecke mit den schönsten Infinity Pools. Super, sofort angesehen, Fernweh geweckt, Link selbst getwittert. Dann nahm ein relativ normaler Arbeitstag seinen Lauf. Irgendwann ein Tweet von Till, der fragte, wann wir losfliegen würden. Ein paar lustige 140-Zeichen-Botschaften später bot er statt Sonne eine Karte für’s Heimspiel gegen Hoffenheim:

Ich war kurz vor der klassischen Reaktion (hach, schöne Idee, aber das geht ja nicht), als blitzschnell ein kleiner, aber wirkungsvoller Gedanke durch meinen Kopf schoss, nämlich „Warum eigentlich nicht?“. Und so saß ich in dieser U-Bahn und der Gedanke gewann mit jeder Millisekunde an schwer zu kontrollierender Faszination. Es war einfach einer dieser Momente, in dem scheinbar absurde Ideen dich komplett gefangen nehmen. In denen man ein breites Grinsen im Gesicht hat und es jetzt dann einfach mal macht. Grundsätzlich war es ja auch eine logische Konsequenz: Seit ich Till kenne, hätte ich wissen müssen, dass er sowas ernst meint – und er seinerseits, dass ich zu solchen Aktionen durchaus fähig bin.

Da die Idee aber immer noch sehr unwirklich schien, durfte das Schicksal entscheiden. In solchen Momenten muss die Organisation einfach schnell gehen, da sonst die Spontaneität und Verrücktheit durch umfassende Planungen irgendwie schon wieder verloren geht. Meine persönliche Vorgabe: Sofern es eine Mitfahrgelegenheit zur passenden Zeit gibt, rufe ich an – allerdings darf auch nur ein Anruf nötig sein. Nun ja, es gab eine Mitfahrgelegenheit zur passenden Zeit und zack, saß ich zwölf Stunden später im Auto Richtung Dortmund (passenderweise mit einem sehr netten Fahrer, der eine halbe Stunde vor meinem Anruf selbst erst ein Ticket bekommen hatte).

Dazwischen lag allerdings noch eine relativ schlaflose Nacht – was zum einen meinem eigenen Unglauben über diese Aktion geschuldet war, zum anderen und mehr aber noch auf das Konto des BVB-Gegners ging. Hoffenheim. Angstgegner. Bisher kein Heimsieg. Und meine Premiere auf der Südtribüne. In Kombination mit meinem eigenen Aberglauben machte mich das ganz ordentlich nervös. Schließlich durfte ja nicht ausgerechnet gegen Hoffenheim meine Serie (bisher nur Siege des BVB im Stadion gesehen) reißen. Und ja, ich weiß, irgendwann muss ich auch mal eine Niederlage im Stadion sehen. Aber nicht während meiner Südtribünen-Premiere. Und nicht gegen Hoffenheim. Und überhaupt. Außerdem möchte ich bitte auch bei einem nächsten Mal wieder mit einem guten Gefühl auf der Südtribüne stehen. Und so zog ich mir mit einer mal wieder bedenklichen Ladung Adrenalin im Körper das Stadion-Outfit (natürlich das gleiche wie bei den anderen Stadion-Besuchen) an. Schal in die Tasche, aber nicht um den Hals (da funktioniert er nicht). Und dann los, ab nach Dortmund.

Etwa 50 Kilometer vor der Metropole des Fußballs nahm die Euphorie sekündlich noch mal um etwa 200 Prozent zu und Zuversicht stellte sich ein – allerdings nicht diese überhebliche Art von Zuversicht. Passieren konnte natürlich eine ganze Menge, aber hey, die Jungs konnten die Hoffenheimer grundsätzlich auf jeden Fall mit hängenden Schultern und ohne Punkte nach Hause schicken.

Um 13 Uhr Ankunft in Dortmund. Till, seine Familie und ich, wir konnten wohl alle nicht so ganz fassen, dass ich wirklich, wirklich vor der Tür stand. Nach einer Kuchen-Mahlzeit (gutes Zeichen, das hatte in Hamburg in der Vorwoche bei Ina und Kathrin schließlich auch bestens funktioniert), ging es los zum Stadion.

Während ich bei meinem ersten Besuch dort schon einfach nur beeindruckt war und das Lächeln nicht mehr aus dem Gesicht bekam, war die Südtribüne noch einmal mehr, als man irgendwie beschreiben kann. Grundsätzlich schon entzieht sie sich jedem Vergleich, aber ich versuchs trotzdem. Es war nicht nur atmosphärisch unübertroffen, ich hatte am Samstag schlichtweg das Gefühl, innerlich vor Freude zu platzen – so viele Glückshormone, dass man meint, die Blutbahnen laufen über. Im besten Sinne natürlich. Das Herz klopft bis zum Hals, es fühlt sich ein bisschen an wie vor dem ersten Date mit jemandem, den man eigentlich schon lange kennt. Nur ist der Aufregungs- und Emotionalitätsgrad entsprechend gesteigert, ist schließlich ein Date mit 25.000. Ach ja, auf ganz schön engem Raum. Beängstigend war das allerdings zu keiner Zeit.

Dann ging es los, direkt nach dem Anpfiff folgte Fabelhaftigkeit auf Fabelhaftigkeit. Ein Spielzug schöner als der andere, Torchancen im Minutentakt (allein vier in den ersten 10 Minuten), die Eiseskälte blieb fast unbemerkt. Eine furiose erste halbe Stunde, der BVB setzte sich in der gegnerischen Hälfte fest und dominierte das Spiel, wie eine Mannschaft es nur dominieren kann. Kurz fragte ich mich, ob die Hoffenheimer überhaupt mal mehr als zwei Ballkontakte in Folge hatten, da ging es auch schon atemberaubend und mit einer unfassbaren Leichtigkeit weiter. Nach 16 Minuten das erste Tor durch Kagawa, der eine unglaubliche Partie spielte. Für diesen Gedanken blieb zu diesem Zeitpunkt allerdings keine Zeit, denn die Südtribüne bebte. Und das meine ich wörtlich. Einen solchen Jubel hab ich in der Intensität noch nicht erlebt. Alle Menschen, die aus nächster Nähe irgendwie erreichbar waren, wurden umarmt, während gleichzeitig gesprungen, gesungen, gelacht, gejubelt und gefeiert wurde – synchron in der Menge. Ein Gefühl, als wäre das Zeitgefüge in diesem Moment ein wenig aus den Angeln gehoben worden, nichts als diese pure, grandiose Atmosphäre der chaotischen Freude. Momente, in denen man lernt: Man möchte nie mehr runter von dieser Tribüne, sondern nur den Augenblick festhalten – aber richtig, das Spiel lief ja bereits weiter, also Blick wieder aufs Spielfeld. Am (später noch bedeutsamen) Kloppo-Bierbecher festhalten, um bei diesem atemberaubenden Tempo nicht den Anschluss zu verlieren oder gar von der Tribüne zu fallen. Der BVB weiterhin als Synonym für Torgefahr und nur folgerichtig eine Viertelstunde später das 2:0 durch Großkreutz. Jubel, Chaos, unbändige Fröhlichkeit, nicht zu beschreiben, nicht zu übertreffen. Zumal zu diesem Zeitpunktlocker mindestens doppelt so viele Tore auf der Anzeigetafel hätten stehen können. Der Konjunktiv ist vor allem dem Hoffenheimer Torhüter zuzuschreiben, der in einer enorm Starke-n (Tschuldigung) Verfassung war. So viel Spaß es machte, dieser Riesenleistung des BVB zuzusehen, so überragend war der gegnerische Schlussmann, das muss man einfach sagen. Hehe, half aber alles nichts. Vor der Pause änderte sich zwar der Spielstand nicht mehr, aber ein weiteres Tor fiel trotzdem – durch Großkreutz, leider abseits.

Während Till in der Pause schon unsere anhaltende Serie und die endlich unterbrochene seiner Lieben (noch nie gemeinsam einen Sieg gesehen) feierte, blieb ich seltsam kritisch. Auch wenn ich mir beim besten Willen nicht vorstellen konnte, wie Hoffenheim dieses Spiel noch drehen können sollte, es waren ja nun mal noch 45 Minuten.

Diese begannen, wie die vorherigen aufgehört hatten. Von Hoffenheim kam nichts, vom BVB umso mehr. Nachdem Kagawa den Ball erobert hatte, zeigte sich einmal mehr Unglaubliches: Er bediente Großkreutz, der abgeklärt einfach mal im Sechzehner per Hacke zurück auf Kagawa ablegte, zack, 3:0. Zack, ein weiterer Freudentaumel. Das muss man erst mal machen! Die Stimmung auf der Südtribüne war natürlich enorm, und an die Sekunden nach diesem Tor fehlt mir ernsthaft ein Stück weit die Erinnerung – abgesehen vom sicheren Wissen, dass alles unfassbar gut und ich einfach nur puristisch glücklich war.

Während sich der BVB in der Folge ein wenig zurück lehnte, spielte auf einmal Hoffenheim auf, der ins Tor zurück gekehrte Weidenfeller bekam auch mal ein wenig was zu tun. Bestimmt nur, damit er vor Kälte nicht zwischen den Pfosten einfriert, jaja. Hätte insgesamt jetzt nicht sein müssen, vor allem das Tor für die Hoffenheimer nicht, die auf einmal Platz hatten. Ein weiteres Tor für uns wär hingegen schon schön gewesen, diverse Konterchancen waren da. Barrios hatte kurz vor Schluss noch durchaus eine gute Möglichkeit auf dem Fuß, am Ergebnis änderte sich allerdings nichts mehr. 3:1! Gegen Hoffenheim, den Angstgegner, alles gut und sogar noch besser! Wie sollte es auch anders sein, bei knapp 80.000 lächelnden Menschen, die beflügelt die Mannschaft vor der Südtribüne feiern (Hoffenheim hatte dann doch knapp 1.100 Fans dabei – hab keinen gesehen und gehört schon gar nicht). Ein letzter Gänsehaut-Moment, als Lucas Barrios etwas abgelöst von seinen Mitspielern vorne steht – und 25.000 Lucas schreien. Ein sichtlich berührter Stürmer, der langsam winkend das Spielfeld verlässt. (Mittlerweile wissen wir ja, dass es kein Abschiedswinken war, worüber ich mich sehr freue.)

Um diesem fulminanten Fußball-Tag, der durch die ganze Spontaneität des Stadionbesuchs noch großartiger war, das Sahne- ähm, beziehungsweise Mayonnaise-Häubchen aufzusetzen, gab es zum Abschluss einen dieser sagenumwobenen Taxiteller und Dortmunder Starkbier. Wie sollte es auch anders sein, wie könnte es auch besser gehen?
Ganz einfach, durch den oben bereits kurz erwähnten Kloppo-Bierbecher. Dieser war in der Pause zusammen mit den anderen Bechern zur Rückgabe gebracht worden. Das war schade, weil er so natürlich nicht den Weg in meinen Küchenschrank finden und den Meister-Becher ergänzen konnte. Aber hey, es war ja wohl nicht der letzte Stadionbesuch. Offensichtlich hab ich aber so enttäuscht geguckt, dass Jörg, der ein paar Minuten früher gegangen war, drei Bierstände abklapperte, um mir noch einen zu sichern. Dieser hing bei unserer Ankunft an Tills Haustür. Ich hätte nie gedacht, dass man sich über einen Stadionbecher so freuen kann, aber auch hier wurde Hau-den-Lukas-mäßig jedes denkbare Maximum um ein Vielfaches übertroffen. (Trotzdem habe ich wirklich ein schlechtes Gewissen, dass ich offenbar so mitleiderregend traurig geguckt haben muss.) Natürlich hat der Becher jetzt sogar einen Ehrenplatz auf dem Regal. An dieser Stelle auch noch einmal DANKE, DANKE, DANKE an Jörg, ich hab mich unfassbar gefreut!

Natürlich auch ein, ach Quatsch, unbegrenzt viele riesengroße Dankeschöns an Till und seine zauberhafteste Familie ever, dafür, dass ihr mir dieses unvergleichliche Fußball-Erlebnis ermöglicht habt! Es war ein Riesentraum, fühlt euch alle gedrückt! <3

Hier der Fotobeweis der kulinarischen Köstlichkeit eines Dortmunder Taxitellers:

Und der geschichtsträchtige Bierbecher: