Das erste Begegnung im Champions League Halbfinale zwischen Borussia Dortmund gegen Real Madrid ist fünf Tage her und noch immer fehlen mir die Worte dafür, was in diesem wunderschönsten Stadion überhaupt passiert ist. Ich versuche es trotzdem, vermutlich bräuchte ich aber diese französische Institution zur Erfindung neuer Wörter, um dem annähernd gerecht zu werden.
Wie besonders dieses Spiel war, lässt sich ein kleines bisschen schon daran ablesen, dass jeder, der am letzten Mittwoch mit in diesem Stadion war, genau das gleiche sagte und auch weit nach Abpfiff um Worte ringen musste, die das Erlebte irgendwie widerspiegeln können. Nach dem Málaga-Spiel dachten wir ja alle, solche einzigartigen Momente, die sind nicht zu wiederholen (stimmt, jeder ist anders besonders) und auf lange Sicht schon mal gar nicht zu toppen (stimmt nicht). Tja, und dann kamen die Jungs und die Fans und legten noch eine ganze schwarz-gelbe Portion drauf.
Nach all den Dramen im Vorlauf des Spiels (an der Hotline, im Verlauf des Dienstags…) hatten wir uns natürlich penibel auf den entscheidenden Tag vorbereitet: Die vorangegangenen 24 Stunden wurden komplett ausgeblendet, am Mittwoch ging es nur um die Mannschaft, darum, diesem Team den großen Traum durch die bestmögliche Unterstützung mit zu ermöglichen. Das gesamte Aberglauben-Programm wurde streng durchgezogen: Von den Glücksbringer-Stadionklamotten über Schokobons und Rhabarberschnaps im Zug bis hin zum Spielerbecherorakel kurz vor Anpfiff.
Dann, Betreten des Stadions. AdrenalinAdrenalinAdrenalin. Ein kleiner Moment ganz eigener Ruhe, nur die Intensität dieses Ortes aufsaugen, die Stimmung und die Vibration in der Luft spüren. Wann immer ich die erste kleine Ecke des Spielfeldes sehe, ich bekomme das Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht. Wie das halt so ist, wenn man verliebt ist. Herzklopfen. Die Königlichen zu Gast, das hochklassigst besetzte Starensemble. Wir fanden uns irgendwo zwischen „Das haben wir schon mal geschafft“ und „Daraus hat Real Madrid aber sicher einige Lehren gezogen“ ziemlich weit oben auf der Osttribüne ein.
Ich neige eigentlich nicht zu emotional begründeter Gänsehaut, aber sobald 60.000 Menschen „You’ll never walk alone“ aus tiefstem Herzen singen, was wäre sonst möglich? Eigentlich ist man schon immer vor dem Spiel völlig fertig vor so viel Großartigkeit, hat aber gleichzeitig mehr Energie denn je, um dieses Team nach vorne zu brüllen.
Gleich mal bei der Aufstellung anfangen: Dortmund ist immer laut, aber das war eine andere Dimension. Noch nie habe ich jeden einzelnen Spielernamen so deutlich verstanden. Es war, als könne man in diesem Moment 60.000 einzelne Stimmen heraus hören. Gänsehaut, schon wieder. Vor dem Spiel hatte ich schon Sorgen, dass es da doch einige geben könnte, die Mario Götze auspfeifen und damit die Stimmung beeinträchtigen. Ich bin selbst auch immer noch enttäuscht, getroffen und wütendwütendwütend auf diesen Dienstag, aber am Mittwoch ging es einfach um mehr. Um die Mannschaft, das große Ziel, den Traum Champions League. Sahen die restlichen Zuschauer mit den vielleicht begehrtesten Tickets überhaupt aber auch so. Einige Pfiffe kamen, der Rest brüllte den Namen „Götze“ umso lauter. Auf dass er so zaubere, wie nur er es kann – und wie er es nur noch jetzt, in dieser Spielzeit, für uns kann. Und das tat er. Aber wie.
Und dann: Adrenalin in Echtzeit. Echte Liebe ohne Filter. 95 Minuten ohne Grenzen, maximal stimmliche. Egal. Das Spiel ging los und ich fühlte mich wie ein kleines Kind in einer ganzen Welt voller Süßwarenfabriken für mich allein. Nein, besser.
Das erste Tor für den BVB nach nicht einmal zehn Minuten, unglaublich. Ein ganzes Stadion (naja, fast) im Rausch und trotz großem Respekt vor dem Gegner von irgendwoher die Ahnung, das Gefühl: Diese Mannschaft kann und wird es heute schaffen. Spielfreude auf dem Platz, das Lauteste und Großartigste auf den Tribünen, was ich je erleben durfte. Pulsierende Leidenschaft, Atemlosigkeit und alle sind sich bewusst: In diesen 90 Minuten finden sich all die Momente, auf die es ankommt. Und genau so wurde gespielt, die Mannschaft lieferte Beeindruckendes. Das war die Definition von Leidenschaft, jedem Ball wurde nachgerannt, von mehreren Spielern. Ohne Rücksicht auf den großen Namen des anderen Teams. Ging einer bei einem Pass verloren, wurde er zurück geholt. Dann eine auf den ersten Blick strittige Situation, der fragliche Einwurf, der Fehler von Mats, sofort bestraft. Ist halt Real Madrid. Herrje, wie sehr wir alle Mats Hummels in die Arme schließen und trösten wollten. Eins zu eins, alles auf Anfang, weiter, weiter, immer weiter.
Die erste Halbzeit war schon brilliant, die zweite irgendwas, was das noch unglaublich steigert. Die wenigen Fehler der ersten 45 Minuten blieben in der Kabine, die Jungs kamen heraus und machten etwas, mit dem beim besten Willen in der Form niemand so gerechnet haben kann. 2:1, 3:1, huiuiuiuiui! Sie machten Real Madrid nass, fegten eines der internationalen Top-Teams in einer Form aus dem Stadion, dass die Champions League-Saison aus dem Vorjahr wie ein Mythos anmutet. Ich erinnere mich nur noch an Gedankenfetzen – hervorragende Pässe von Gündogan, ein kaum erfassbar schneller Sprint von Kuba in Richtung Seitenauslinie, kleine und große Wunder von Götze, Reus und und und. Und natürlich: Lewandowski. Dieses 3:1! Umarmungen fremder Menschen, ohrenbetäubender Jubel, Schönheit des Moments für die Ewigkeit. Was für ein Tor, was für ein Abend, ach überhaupt.
Ein Elfmeter. Hingucken oder nicht hingucken? Ich mache es, Kloppo lässt es. So oder so: Er ist drin! Das ist ja nun mehr umso mehr nicht mehr zu fassen! Wohl aber zu feiern. 4:1, 4:1, 4:1! (Ein Gesang, der mich den vollständigen nächsten Bürotag begleiten sollte.) Die Tribüne wackelt unter tausenden feiernden Fans, das ist wunderschön und gleichzeitig ein bisschen beängstigend, egal, heute ist alles fabelhaft. Ob Mario Götze davor oder danach noch eine Ecke in den Strafraum gezirkelt hat, weiß ich nicht mehr – nur noch, dass das ganze Stadion ihm zugejubelt hat. (Mario, das willst du aufgeben? Diese Fans? Ernsthaft? Nicht drüber nachdenken, zumindest jetzt nicht.)
Die ersten Fans singen vom Finale, wir trauen uns das nicht. Ein bisschen können wir es natürlich verstehen, aber nächste Woche wird noch einiges kommen. Genauso wie Real noch einmal kommt, mehr will, zumindest ein 4:2. Darf nicht passieren, soll nicht, kann nicht. Und wird nicht. Kurz denke ich zwischendurch, wie absurd das ist, denn es ist immerhin Real Madrid und auch ein 4:2 wäre enorm. Vier Tore! Dann werden meine Gedanken durchbrochen von „Messi, Messi“-Rufen und dann ist es vorbei. 4:1. Wir sind völlig fertig.
Euphorie ist kein Ausdruck. Als der Taxifahrer nach dem Ziel fragt, sagen wir „Wembley“ (who could resist?), er lacht, macht die Fenster für unsere verschwitzten Gesichter auf und singt mit uns ‚An Tagen wie diesen’.
An Tagen wie diesen war dann übrigens auch fast egal, dass die deutsche Bahn es schaffte, 70 Minuten Verspätung in einen Nachtzug einzubasteln. Um halb sechs zu Hause statt um kurz nach vier, hellwach, erstmal Pressekonferenz schauen. Und die Wachheit blieb den ganzen Tag, das Adrenalin, 8 Stunden arbeiten bei einer Stunde Schlaf, kein Problem, nach diesem Sieg. Nur einmal kam ein kurzer Müdigkeitsanfall: In der Mittagspause, als ich Cola trank. Der BVB stellt halt nicht nur die Fußballwelt auf den Kopf.
Danke, danke, danke Jungs. Für einen Abend, den ich nie vergessen werde. Den niemand vergessen wird, der in diesem Stadion dabei war. Danke für diese Leistung, diese Leidenschaft, diese Definition, warum wir Fußball lieben. Und danke an die Fans: Für echte Liebe ohne Filter.
PS: Und an den aufsässigen Teenie im Zug, der uns viel Spaß beim Verlieren wünschte: Kchchchchch.