Der Traum geht weiter.

Der BVB hat uns, seine Fans, in dieser Saison und besonders in dieser Champions League-Spielzeit durch alle Varianten großer Emotionen geschickt. Anspannung, pure Dramatik, immer größere Begeisterung mit jedem weiteren Spiel, obwohl man das nach dem jeweils letzten nie mehr für möglich gehalten hätte, ein anhaltender Rausch der Gefühle – und dabei klingt das Wort Rausch noch viel zu schwach.

Am vergangenen Samstag, dem Finale der Champions League, kamen all diese Gefühle noch einmal um ein Vielfaches gesteigert zusammen, wirbelten durcheinander, vermischten sich, wurden um Enttäuschung ergänzt, widersprachen sich und hinterließen mich zunächst in einem seltsamen Zustand. Ja, natürlich war ich enttäuscht. Kirsten schrieb, das Tor von Robben habe ihr ihr schwarz-gelbes Herz zerschossen und das trifft es ziemlich gut. Nach diesem Tor war da Leere, Ungläubigkeit, die Verblüffung darüber, dass dieser Traum des Champions League-Sieges dann doch so plötzlich vorbei war. Waren all die Spiele vorher emotionaler Flipper, so fühlte sich der Moment an, als hänge die Flipperkugel in einem Zeit- und Gefühlsloch fest. Dann, der Abpfiff. Wir schalteten sofort den Fernseher aus, guckten uns wortlos an. Probierten einige Worte, schwiegen, weil sie nicht zu passen schienen.

Mich erreichten die ersten Nachrichten, teilweise von Freunden, die sich eigentlich nicht einmal für Fußball interessieren. Und in unserer Runde sprachen wir über die großartige Saison, Dankbarkeit, die schiere Unfassbarkeit dieses BVB in Wembley. Zaghaft zunächst, so als ob diese andere Perspektive erst anprobiert werden müsste. Nein, sie passte nicht vom ersten Augenblick an, auch auf meinem Heimweg, als ich trotzig im Hamburger Regen “You’ll never walk alone” sang, war da natürlich noch die Enttäuschung, die mich als großer Schatten verfolgte. Am nächsten Morgen lag sie beim Aufwachen neben mir. Natürlich gab es nie einen Anspruch auf den Sieg, aber weil er so nah, so greifbar war, tat natürlich alles weh. Und in einem solchen Finale ist das für den Verein, der es nicht für sich entscheidet, ja immer so.

Aber, und das finde ich sehr besonders: Es war nie nur die Enttäuschung. Die positiven Konnotationen der Dankbarkeit, des Stolzes auf dieses Team und all die Momente der puren Freude und Ekstase zuvor, die waren von Beginn an da. Greifbar, auch wenn sie noch nicht sofort überwiegen konnten. Aber die Perspektive drehte sich schnell, die Wertschätzung all dessen, was erreicht wurde, stand sehr zügig im Vordergrund. Der Titel ist nicht alles, was zählt. Der Weg war einzigartig, berauschend, ein acht Monate anhaltendes Fest. Und ja, natürlich wäre es schön gewesen, da auch noch den Henkelpott in die funkelnde Nacht stemmen zu dürfen – aber weil der nun nicht da ist, ist all das Vorangegangene ja nicht weniger wert. Und diese Sichtweise hat geholfen, von Anfang an, damit diese grandiose Saison im Fokus steht und nicht dieses eine Gegentor, das das Ende des Finales bedeutete. Ein Tor, das aber noch lange nicht gleichzusetzen ist mit dem Ende des Traums.

Wie könnte es das auch? Ich sah eben gerade noch einmal durch Zufall das Welcome-Video des BVB zur Gruppenphase und da lief es mir wieder, wieder, wieder eiskalt den Rücken hinunter. Ich erinnere mich an die Auslosung, die ich im Büro verfolgte, die Mails, die ich im Sekundentakt mit Milan-Fan Isa austauschte und wie sich die Sorgen ob Gruppe D ziemlich schnell wandelten und nur noch Vorfreude, Motivation und unerschütterlicher Glauben an die Mannschaft übrig blieb, auch wenn von allen Seiten nur zu hören war, dass Platz 3 wohl das Maximalziel sein könne. Ich erinnere mich an das erste und späte Tor gegen Ajax Amsterdam und daran, dass ich mal dachte, das Vorrundenspiel gegen Real Madrid könne im Ranking meiner Stadionbesuche auf lange Sicht nicht mehr getoppt werden. Ich erinnere mich an Taxifahrer, die im Strom meiner Malaga-Emotionen versuchen mussten, herauszufinden, wo sie mich eigentlich hin fahren sollen. Ich erinnere mich daran, erneut zu glauben, dass das wohl das unfassbarste Spiel überhaupt gewesen sein muss. War es natürlich auch, aber dann legten die Jungs noch einen drauf und machten völlig irre Dinge gegen Real Madrid – bemerkenswerterweise einen Tag, nachdem der Götze-Transfer publik wurde. Dann, das Rückspiel – wenn ich mich daran erinnere, spüre ich quasi immer noch Inas Fingernägel, die sich in meinen Arm bohren, auch wenn ich die in diesen letzten Spielminuten, in denen ich starr nur die Leinwand fixierte, nicht einmal registrierte. Ich erinnere mich an London in schwarz-gelb, an Bilder vom Trafalgar Square, der wirkte, als ob nur diese beiden Farben dort zulässig gewesen wären. Ich erinnere mich an 30 unvorstellbar gute Anfangsminuten im Finale gegen die beste Bayern-Mannschaft, die es wohl jemals gab. Mit den Erinnerungen an diese CL-Saison könnte ich vermutlich ein separates Blog füllen. Und ja, natürlich erinnere ich mich an das Tor in der 89. Minute und an das Bild des so enttäuscht auf dem Rasen sitzenden Marco Reus nach Abpfiff, bei dem ich das Gefühl hatte, mir würde sofort das Herz zerspringen. Aber im Vergleich ist das nur ein kleiner Teil der Erinnerung. Ein wichtiger, aber nicht der bestimmende.

Natürlich geht es jetzt stetig darum, wie es weitergeht. Wie der Abgang von Götze zu verkraften ist, ob Lewandowski bleibt, wie die Mannschaft umgebaut werden muss, undundund. Es tut weh, wenn ein Riesentalent wie Mario Götze den Verein verlässt. Nicht, weil es die Mannschaft nicht auch ohne ihn schaffen kann, sondern einfach, weil es schade ist, dass er kein Teil dessen mehr ist und in Zukunft für einen anderen Club zaubert. Es war klar, dass die Jungs nicht einfach durch die BuLi und Europa fegen können, ohne Begehrlichkeiten anderer Vereine zu wecken. Es ist aber auch klar, dass es schmerzt, wenn das passiert, bei aller Erwartbarkeit.

Ich bin ehrlich: Ein nicht so kleiner Teil meiner Traurigkeit beim Champions League-Finale rührte auch daher, dass es sich anfühlte, als sei das das Ende einer Ära. Nicht, weil es irgendeinen Anspruch auf Siege und Titel gibt, sondern weil so klar war, dass sich danach viel ändern wird. Es viel Arbeit bedeutet, eine neue Mannschaft aufzubauen, wie Kloppos Kommentare nach dem Spiel noch schmerzlicher in Erinnerung riefen.

Dennoch: Wichtig ist, dass es weiter geht. Und das wird es. Der BVB hat in den letzten Jahren so viel aufgebaut, das wird nicht einfach zerbrechen. Zudem hat der Verein aus der Vergangenheit gelernt, ebenfalls nicht ganz unbedeutend. Kloppo hat in Dortmund mehr erschaffen als „nur” dieses Team: Die Idee, das Konzept, die Vision, die werden weiter leben. Er hat Strukturen geschaffen, die zwar angepasst werden müssen, aber grundsätzlich auch in Zukunft tragen: die Mannschaft, den Traum, neue Träume. Auch mit neuen Konstellationen im Team, denn dieser Verein ist mehr als einzelne Namen. Ja, es muss ein neues Team formiert werden, aber, und das darf man ja nicht vergessen: mit besten Voraussetzungen. Und Veränderung bedeutet ja gleichzeitig auch immer die Chance, sich weiter zu entwickeln. Kloppo sagte im viel zitierten und Guardian-Interview “You need change to make the next step in the team’s development.“ Und ich bin gespannt, wie und wohin sich dieses Team entwickelt. Keep on moving. You’ll get there again.

Dass der BVB auch in der neuen Saison viele wundervollste Momente liefern wird, davon bin ich überzeugt. Nicht, weil ich vermessen an einen Anspruch darauf glaube, sondern vielmehr, weil ich großes Vertrauen in die Vereinsführung habe. Der Verein, die Mannschaft, die Fans und natürlich der Trainer – sie alle leisten tolle Arbeit und legen ihr ganzes Herz hinein. Ich bin Jürgen Klopp ein einziges Mal persönlich begegnet, dabei hat sich mir ein eindrucksvolles Bild von ihm vermittelt (auch, wenn ich den Fan-Bonus mal abziehe). In meiner Erinnerung hat er die Tür beim Betreten des Raumes nicht aufgemacht, sondern sie ist aufgeflogen vor lauter umgebender Energie. Ich hatte das Gefühl, dass ihn ein Magnetfeld von Ehrgeiz, Motivation und Lebensfreude umgab. Und genau deswegen bin ich sicher, dass er nicht nur einen Plan haben wird, sondern auch noch den richtigen.

Eine Mannschaft, die Dienstage wie den vor dem Real Madrid-Hinspiel so übersteht, wird nicht nach einem Sommer Geschichte sein. Die werden nicht aufhören, Fußball zu spielen. So Fußball zu spielen. Zudem wird man dem BVB auch nicht gerecht, indem man ihn nur über bestimmte Namen definiert. Der BVB ist ein Verein, bei dem – nach dieser Champions League-Saison umso mehr – auch andere Spieler spielen wollen werden. Mit und an ihm wachsen möchten und können. Diese Geschichte ist eine, die noch lange nicht zu Ende geschrieben ist, sondern eine, die sich irgendwo mitten auf dem Weg befindet. Mit Höhen, mit Tiefen, mit allen Formen der Leidenschaft für jeden einzelnen Augenblick.

Ich bin dankbar dafür, diese Geschichte begleiten zu dürfen, dieses Finale als Fan dieser Mannschaft erlebt zu haben. Allein, diesem Verein zusehen zu dürfen, ihn in der Champions League zu erleben, das grenzt an ein Wunder. Ich bin gespannt, wie es weiter geht. Neulich las ich, dass ein Fußballspiel für das Herz eines Fans in etwa die gleiche Belastung aufweist wie ein Halbmarathon. Ich freue mich auf viele weitere Langstrecken, von ganzem Herzen. Dieser wunderbare Artikel schließt mit den Worten: Alles ist gut. Und alles ist gut.

Danke, Jungs. Danke für alles und überhaupt. Genießt die Sommerpause.
Ich freu mich auf die neue Saison.