Eine unterschätzte Stadt: Kassel

Seit ich Kassel verlassen habe und damals zunächst zum Studium nach Düsseldorf, zum Master nach Münster und danach nach Hamburg zog, habe ich die Frage, woher ich komme, unzählige Male gehört. Sie ist wohl eine der üblichsten, wenn man Menschen kennen lernt und es ist ja durchaus auch sehr interessant, mehr über die vielen Städte und Orte, aus denen die lieb gewonnenen Menschen an- und zugereist sind, zu erfahren.

Die Reaktionen auf Kassel (bzw. genau genommen auf „aus der Nähe von Kassel“) sind meist sehr ähnlich, denn Kassel gilt wohl gemeinhin nicht als besonders attraktives Wohnziel. Oft genug hörte ich ein (fast) bedauerndes „oh“, gern gefolgt von „So wirklich schön ist es da ja aber auch nicht, ne?“ und ähnliches. Selbstkritischerweise muss ich eingestehen, dass es mir bei einigen Städten genau so geht (so z.B. Hagen): Städte, von denen man irgendwie und irgendwoher ein tristes, graues, trostloses, langweiliges Bild hat. Städte, die man oft genug aber eigentlich gar nicht wirklich kennt. (Zumindest, wenn man kennen nicht als kurzes Umsteigen im Bahnhof bei minimaler Beachtung der umgebenden Kulisse definiert.) Städte, von denen man manchmal auch nur durch andere gehört hat, sehr subjektiv. Ziemlich unfair eigentlich. Und ziemlich schade, ich bin mir nämlich ziemlich sicher, dass man in einigen dieser Städte doch vielleicht ein bisschen was verpasst. Gerade weil man sie nicht auf der Liste hatte, können sie umso mehr für Überraschungen sorgen. Und wenn man sie nach einem Besuch immer noch nachhaltig weit entfernt von jeder persönlichen Stadt-Favoritenliste einordnet, dann hat man wenigstens einen wirklichen Grund.

Vielleicht und sehr wahrscheinlich sind Städte wie Kassel nicht die, in denen wir irgendwann unbedingt.unbedingt.unbedingt mal leben wollen und meist sind es nicht die großen, beeindruckenden Namen: München, Hamburg, Barcelona. Und ja, ich selbst habe Kassel ebenfalls verlassen. Das heißt aber nicht, dass ich die Stadt nicht trotzdem mag, ab und zu gern da bin und dass es nicht auch abseits von Familie und Freunden ein paar gute Gründe für einen Besuch gibt. Und um das „Kassel mögen“ nicht immer rechtfertigen zu müssen oder lediglich als „Heimatbonus“ ausgelegt zu bekommen, schreibe ich hier mal über die schönen Seiten Kassels.

BugaZunächst einmal ist Kassel angenehm grün: Von der Innenstadt aus ist man in wenigen Augenblicken in der Karlsaue und kann dort beachtliche und sehr hübsche Strecken laufen oder einfach im Grünen liegen und entspannen. Im Sommer finden sich an der Buga mehrere Mini-Strände. Als ich vorgestern an einem von diesen lag und die Idee zu diesem Blogbeitrag hatte, fragte ich mich nachhaltig, warum ich in meinen Kassel-Zeiten nicht viel, viel öfter dort war. Wem das alles zu entspannt ist, der kann natürlich auch noch den Bergpark besteigen oder auf halbem Weg dorthin von der Innenstadt aus doch in den Goethe-Anlagen grillen. Und ja, das war noch nicht alles, aber ich schreibe ja nicht ausschließlich über Kassels Parks.

Was man in Kassel nämlich auch erstaunlich gut machen kann: sehr entspannt mit Freunden etwas trinken gehen. Zu Preisen, die Großstädtern gern mal ein ungläubiges Staunen entlocken, weil die Happy Hour von woanders hier je nach Laden auch mal der kostentechnische Normalfall ist. Nach wie vor ist meine Lieblingslocation die Xallo-Bar, da hängen einfach zu viele nostalgische Erinnerungen dran und den Biergarten mit dem kleinen Brunnen mochte ich schon immer sehr. Außerdem gibt’s grandiose Teigtaschen, die allein ziehen uns schon immer wieder dort hin. Und auch in so schönen Restaurants wie dem Boccaccio klingt jeder laue Abend auf der Terrasse übrigens sehr hübsch aus.

Ich-DenkmalApropos hübsch: Eine Idee mit diesem Charakteristikum ist für mich das Ich-Denkmal am Brüder-Grimm-Platz unten zu Beginn der Wilhelmshöher Allee, knapp über der Fußgängerzone. Wikipedia brachte mir gerade bei, dass die erste Ausgabe des steinernen Sockels mit den goldenen Lettern ICH in Frankfurt am Main stand und Kassel anlässlich der Caricatura 5, die parallel zur documenta 12 stattfand, ebenfalls eine solches Werk der Komischen Kunst erhalten hat. Nun ja, so kann man sich also in Nord- und Südhessen gleichermaßen fotografieren und statuenhaft in seiner Einzigartigkeit festhalten lassen, sehr gut.

Die Caricatura ist sowieso ebenfalls sehr zu empfehlen – und das keineswegs nur im Rahmen der documenta. Kulturtechnisch bietet Kassel auch mit seinen weiteren Galerien und Museen eine Menge – weit genug jedenfalls, um einen Wochenendbesuch auch außerhalb von documenta-Zeiten zu füllen.

Was mit Kassel und Shopping ist, um ein Weiteres der klassischen Sightseeing-und-Stadt-erleben-Felder abzuklären? Nun ja, die Innenstadt bietet wie in fast allen Städten die eben gleichen Ketten, man kennt es. Schaut man etwas weiter und widmet sich der Friedrich-Ebert-Straße und dem Vorderen Westen, findet man aber auch die eine oder andere weitere kleine Ladenperle. Denn damit ist es wie mit vielen der unterschätzten Städte: Man muss nur die Augen offen halten und aufmerksam sein, dann findet man viel mehr, als man wahrscheinlich erwartet hätte.

Aus diesem Grund ist einer meiner Vorsätze für die Zukunft nicht mehr nur mehr zu reisen, sondern auch mehr Städte zu erkunden, die nicht auf der klassischen Reisetipp-Liste stehen. Welches sind denn eure unterschätzten (Heimat-)Städte? Ich würde mich über Tipps (auch abseits klassischer Touri-Empfehlungen natürlich) freuen!

PS: Wunderbarerweise entdeckte ich in der aktuellen NEON Reisetipps innerhalb Deutschlands – und wenn auch mit weit weniger Platz als die klassischen Metropolen, so fand Kassel doch dort ebenfalls Beachtung. Schön, schön!

5 Gedanken zu „Eine unterschätzte Stadt: Kassel

  1. So einen Artikel werde ich auch mal schreiben. Über Henstedt-Ulzburg. Wenn Du willst, hat mich dieser Blogeintrag also inspiriert. Mein Problem ist, dass ich nur noch nicht weiß, wo ich ihn dann veröffentlichen werde. Aber schreiben werde ich ihn. 🙂

    • Großartig! Henstedt-Ulzburg kenne ich sogar einigermaßen gut, bin aber trotzdem gespannt auf deinen Beitrag! Den könntest du übrigens auch gern als Gastartikel in meinem Blog veröffentlichen, falls du magst! 😉

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