Lost in Tokyo

Gestern las ich in diesem Artikel, dass man nicht wirklich in Tokyo war, wenn man sich nicht mal verlaufen, komplett verloren und gefragt hat, ob man je wieder aus diesem Labyrinth heraus findet. Ich bin dann anscheinend sehr intensiv hier. In Tokyo finde ich fast keinen Weg, keine Location, ohne irgendwo falsch abzubiegen. Und das ist völlig okay, sogar fantastisch, denn es ist faszinierend, hier verloren zu gehen und immer wieder neue Seitenstraßen und Aspekte der Stadt zu entdecken.

Gut, irgendwann wird es zur Geduldsprobe. Eigentlich bin ich nicht wahnsinnig geduldig. Hier lerne ich, es zu sein und das gefällt mir gut. Manchmal ist es dennoch nicht einfach, zum Beispiel, wenn man irren Hunger hat und das Restaurant, von dem man genau weiß, dass es nur 300 Meter entfernt liegt, einfach nicht findet. Restaurants sind natürlich nicht ausgeschildert und auch die Adresse hilft in der Regel nicht: Das Adresssystem basiert nämlich nicht auf Straßen und Hausnummern (überhaupt haben eigentlich nur große Straßen einen Namen – und den muss man auch erst einmal lesen können), sondern auf Verwaltungseinheiten, -untereinheiten und Blocks. Zusätzlich werden auch die Hausnummern nicht chronologisch vergeben, sondern basieren auf dem Erbauungsdatum des Gebäudes. Hallo, Verwirrung!

Auch mittels der diversen (offline verfügbaren) Karten-Apps auf meinem Smartphone lassen sich die Restaurants oft nicht direkt lokalisieren, weil sie nicht verzeichnet sind. Oder zumindest nicht in der englischen Umschrift. Und mein Stadtplan zeigt aufgrund der unglaublichen Größe Tokyos auch nur grobe Bereiche und bei weitem nicht alle winzigen Wege und Seitenstraßen. Um eine genaue Karte dabei zu haben, müsste man vermutlich einen 500 Seiten-Faltplan herum tragen. Natürlich lohnt es sich oft genug, einfach in irgendein verlockend duftendes Restaurant hinein zu spazieren, das Essen ist fast immer fantastisch – doch manchmal sucht man ja eben doch ein ganz bestimmtes. Das dauert dann halt. Manchmal sehr lange.

Dabei habe ich grundsätzlich keinen schlechten Orientierungssinn. Mittlerweile gucke ich mir morgens SEHR genau Wege und Locations auf Google Maps an und bin sogar dazu übergegangen, sie in allen möglichen Zoomstufen zu fotografieren. Ebenso wie die Street View-Bilder der Außenfassaden. (Eine mobile Datenverbindung mit dem Smartphone funktioniert nicht.) Das klingt völlig lächerlich, scheint aber ein normales Vorgehen zu sein, wie mir auch andere Touristen bestätigten.

Zusätzlich mache ich mir in den Offline-Maps die Sehenswürdigkeiten zunutze, die sind nämlich auch in englischer Umschrift verzeichnet (und große Sehenswürdigkeiten werden zudem auch oft ab dem Bahnhof ausgeschildert). Suche ich beispielsweise eine Bar, markiere ich mit Stecknadeln Sehenswürdigkeiten in der Nähe. Mein App-Favorit CityMaps2Go zeigt vom aktuellen Standpunkt aus immer an, in welche Richtung ich gerade blicke und anhand der Pins kann ich einordnen, ob ich mich meinem Ziel nähere. Routen planen kann die App zwar leider nicht, aber das ist durch den wegweisenden Blickrichtungskegel auch nicht mehr so schlimm.

Trotz aller Tricks und Hilfsmittel: Manchmal verliert man sich trotzdem. Es ist in den vielen kleinen Straßen, in dem geschäftigen Treiben, in dieser Riesenstadt auch unmöglich, es nicht zu tun. Aber man findet immer wieder einen Weg zum Ziel. Das liegt natürlich auch an der unendlichen Hilfsbereitschaft der Japaner, die schon mal zwei bis zehn Freunde heranwinken, um zu helfen. Oder einen gleich selbst bis zum Ziel begleiten, obwohl sie offensichtlich in die andere Richtung gehen wollten. Vielleicht ist das einer der besten Aspekte am Lost-Gefühl: Zu wissen, dass man keineswegs verloren ist, auch wenn man sich gerade so fühlt.

Ein Gedanke zu „Lost in Tokyo

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