Wir alle haben es tausend Mal gehört, immer wieder: Fußball schreibt die seltsamsten, kuriosesten, schmerzhaftesten und freudentränenerfülltesten Geschichten. Jaja. Man denkt immer „Weiß ich doch!“ – aber dann kommt wieder einer dieser Abende, eines dieser Spiele, wo einem wieder mit ungebremster Wirkungskraft die Bedeutung dieser so simplen Aussage in den Kopf und ins Herz geschleudert wird. Wo einem immer noch einmal in neuen Facetten – manchmal funkelnd, manchmal traurig glitzernd – bewusst wird, was dieser Sport, der eigene Verein, diese ganze Liebe mit einem macht. Immer wieder, immer auf ein Neues.
Dass der BVB bereits vor längerer Zeit das große Drama-Paket auf seinen Namen gebucht hat, das ist nicht neu. Was das aber immer wieder mit sich bringt, das überrascht einen dann doch bei aller Klarheit jedes Mal von Neuem.
Während und nach den Auslosungen der Viertelfinal-Spiele in der Champions League hörte ich vielerorts Kommentare zur bevorstehenden Chancenlosigkeit gegen Real Madrid, zum definitiven Ende für den BVB im Viertelfinale. Fast so, als ob es nach den letzten vier aufsehenerregenden Spielen gegen die Königlichen jetzt aber wirklich mal an der Zeit für eine Klatsche sei. So geht das doch nicht, es ist doch Real Madrid! Keine Frage: Real Madrid ist eine überragende Mannschaft und vereint kaum zu begreifende individuelle Spielerklasse in den eigenen Reihen. Keine Frage, diese Aufgabe war unfassbar schwer und die Wahrscheinlichkeit, dass Real Madrid beeindruckend und beängstigend deutlich gewinnt, nicht gering.
Aber seit wann schreckt der BVB, dieser „Todesgruppen-erprobte“ Verein, vor den größten Herausforderungen zurück? Tut er nicht, im Gegenteil: Grad bei diesen im Voraus oft als so aussichtslos eingestuften Spielen kann ich mich dem Eindruck nicht erwehren, dass die Spieler mit umso mehr Spielfreude, Ehrgeiz, purem Willen auf dem Platz stehen. In Spielen gegen die ganz großen Gegner zeigen sie oft ihre besten Leistungen. Und man wird dem Club, den Leistungen der vergangenen Jahre und natürlich auch dem Drama-Abo nicht gerecht, schreibt man die schwarzgelbe Elf schon mal vorzeitig ab – eigentlich ist das sogar überheblich. In einem Champions League-Viertelfinale spielen keine schlechten Teams, keine leichten Gegner mehr, Punkt. Ja, das klingt nach Phrase, aber bei den Vorhersagen zum schwarzgelben Schicksal ist sie offenbar immer noch zu betonen. Erneut keine Frage also: Ich freute mich auf das Spiel, wie hätte ich das auch nicht gekonnt: Mein Verein! Champions League! Gegen Real Madrid!
Das Ergebnis des Hinspiels befeuerte natürlich viele düstere Prognosen, da war von einer enormen Klatsche zu lesen, vom Ende des schönen BVB-Fußball. Huch, soso. 3:0 zu verlieren ist natürlich nicht schön, aber da gab es schon deutlichere Niederlagen. In Anbetracht der Verletzungen beim BVB, der immer wiederkehrenden personellen Veränderungen, der Lewandowski-Sperre, der Champions League-Kaltstarts einiger Spieler und ja, natürlich auch des Gegners, relativiert sich diese Dimension für mich. Keine schöne erste Halbzeit in Spanien, doch immerhin gab es einige große Torchancen in der zweiten Hälfte – auch wenn sie ungenutzt blieben.
Eine noch größere Aufgabe wartete also im Rückspiel. Tja nun, da wird schwarzgelb erst richtig warm! Denn wenn man bei diesem Verein etwas weiß, ist es, dass Fußballwunder immer möglich sind (das Drama-Abo, ihr wisst schon). Am Dienstag spürte ich bereits morgens das vertraute Kribbeln und im Lauf des Tages verdichtete sich mein Gefühl immer mehr: Da geht etwas heute Abend. Diese Geschichte ist keineswegs schon vorschnell beendet!
Und ich sollte recht behalten: Was die Jungs da auf den Rasen zauberten, das übertraf jedes mögliche Erwartungsknistern deutlich. Sie spielten fulminant auf, ohne Angst vor den großen Namen in der Real-Elf, sie pressten, passten, wirbelten, dass die Königlichen weder hinterher und schon gar nicht selbst zur Entfaltung kamen. Es war mehr als eine große Freude, das anzusehen.
Dann, direkt der Dämpfer: Elfmeter für Real, zumindest fragwürdig. Eine ganze schwarzgelbe Welt hielt den Atem an. Die Kölner Kneipe, in der ich das Spiel sah, feuerte Roman Weidenfeller so lautstark an, dass er es unter normalen Umständen bis Dortmund hätte hören müssen. Ángel Di María läuft an – und verschießt! Stattdessen geht die Fußballreise schnell wieder zurück vor das spanische Tor. Die erste Torchance bleibt noch ungenutzt, aber nur sieben Minuten nach dem Elfmeter haut Marco Reus den Ball ins gegnerische Netz. Un-, un-, unfassbar. Und vor allem: Unfassbar gut. Spätestens da war auch für Restzweifler klar: Heute kann alles gehen. Zum Beispiel das 2:0 noch vor der Pause. Vielleicht war Magie nie greifbarer als in diesem Moment (und im Malaga-Spiel, natürlich).
Mein schwarzgelbes Herz stand ebenso Kopf wie das schönste Stadion der Welt, wo die Fans ihren eigenen großen Beitrag leisteten. Laut ist es in Dortmund ja eigentlich immer, aber das, das war erneut einen Support-Superlativ wert. Dann: Halbzeitpause. Ich saß sprachlos mit einem breiten Grinsen vor meinem Kölsch. Mit diesem Glänzen in den Augen, das sonst nur frisch Verliebte haben. Ohne Worte. Denn manchmal gibt es einfach keine, auch wenn alles nur so aus einem heraus platzen möchte.
Beste Gründe für Sprachlosigkeit sind schwarzgelb! #bvbrma
— Claudia Taubenrauch (@neverevertown) April 8, 2014
Nach Wiederanpfiff folgte eine kleine Verschnaufpause für die Königlichen, bevor der BVB erneut so wirbelte, als müsse er die Essenz von Fußballbegeisterung in den verbleibenden 45 Minuten kompakt einmal anmischen. Hat geklappt, sie tropfte quasi von der Decke, man hätte sie in Flaschen abfüllen können. Lediglich, die Zeit rannte genauso schnell wie die Jungs und die verbleibenden Minuten schwanden dahin.
Drei Minuten noch. Ich bin ja komplett unparteiisch, aber lauft meine schwarz-gelben Freunde, lauft! #bvbrma (cs)
— zeitonlinesport (@zeitonlinesport) April 8, 2014
Was am Ende fehlte, war die Essenz eines weiteren Tores. Ich bin an dieser Stelle kein Fan von Konjunktiven, denn sie bringen ja doch nichts. Die große Belohnung für die gigantische Leistung blieb leider aus – aber das schmälert sie keinesfalls. Der BVB konnte nicht ins Halbfinale der Champions League einziehen, man könnte jetzt sagen, das große Wunder wurde knapp verfehlt. Aber so richtig stimmt das doch nicht, denn dieses ganze Spiel war in Anbetracht all der umgebenden Faktoren, der Aufstellungen, der Leistung und des Ergebnisses ein Wunder:
And the miracle happened. Check out our line-up. Check out Real’s line-up. Check out the score. #bvbmiracle
— Caroline (@keyflake) April 8, 2014
Real Madrid zieht mit gesenktem Haupt ins Halbfinale, wir feiern Fußball. Es war wahrlich kein leichtes Jahr für den BVB, man könnte es mit „die Konstanz des Wechsels“ überschreiben. Ja, nicht jedes Spiel war schön, es gab bittere Partien und noch bitterere Nachrichten. Aber genau die machen Abende wie den vom Dienstag immer noch ein bisschen wertvoller, schätzenswerter. Und auch wenn viel am BVB dieser Saison gezweifelt wurde: In diesem Rückspiel wurde für alle offensichtlich, dass die schwarzgelbe Antriebskraft, der Wille, der Ehrgeiz, immer noch etwas rauszuholen, der eigene Glaube an das Wunder (aus gutem Grund) statt vorzeitigem Aufgeben, dass all das noch immer da ist. Vielleicht mehr denn je. Mit dem BVB ist immer zu rechnen. Vor allem, wenn sie angeblich keine Chance haben.
Nach dem Champions League Finale im letzten Mai konnte ich zugegebenermaßen die sofort überwiegende Begeisterung vieler Fans über das Finale selbst, das Erlebnis, diese unglaubliche Situation, die die Traurigkeit über den verlorenen Henkelpott deutlich in den Schatten stellte, nicht sofort gut nachvollziehen. Ich bemühte mich, bewunderte sie, ich freute mich natürlich auch darüber, aber mein Fußballherz war gebrochen. Ich schlich mit hängenden Schultern und trotzigem Gesang nach Hause.
Doch spätestens seit diesem Dienstag kann ich das völlig nachvollziehen. Ja, das Ausscheiden ist unfassbar schade. Aber was dieses Team da gemacht hat, das ist pures Fußballglück und mehr, als eine weitere Runde möglicherweise zum Ausdruck bringen könnte. Lediglich der Anblick von Kevin Großkreutz’ tränengefüllten Augen, den konnte ich kaum ertragen. Und Mkhitaryan möchte ich noch immer während all seiner Interviews in den Arm nehmen. Jungs, das wird! Ich freue mich auf die nächste CL-Saison mit euch, und zwar mehr, als ich es in Worte fassen kann.
Ich wünsche mir, dass Mkhitaryan sich nicht selbst zu sehr unter Druck setzt, denn trotz vergebener Chancen: Der ist zu großen fußballerischen Dingen fähig, das war auch und vor allem am Dienstag zu sehen. Er wird sich weiter entwickeln und diese Tore machen. Ich freue mich auf viele weitere Momente in schwarzgelb mit Milos Jojic, mit Erik Durm, die sich besser nicht hätten empfehlen können, und wünsche Oliver Kirch, dass er weitere Gelegenheiten bekommt, zu zeigen, was er kann. Und selbsterklärend freue ich mich auf den ganzen schwarzgelben Rest. Wer übrigens die Einzelkritiken vom Dienstag noch einmal in der wunderbarsten möglichen Form lesen möchte, dem seien die 11Freunde ans Herz gelegt.
DANKE, JUNGS. Das war unglaublich schöner Fußball, ein unvergesslicher Abend und sensationell viel echte Liebe. Das war die beste Werbung, die Fußball bekommen kann. Kopf hoch, wir sehen uns in der Champions League im nächsten Jahr!