Ich hasse das Gefühl von Angst. Panik, die sich kriechend ihren Weg in den Kopf und den Körper bahnt, Gedanken kontrolliert und nichts als diese miese Nervosität ins Bewusstsein knallt. Aber: Angst kann auch etwas Gutes haben, hat es ja sogar meistens. Grundsätzlich ist Angst ja eigentlich nur ein Mechanismus, uns auf Gefahren aufmerksam zu machen. Die Überwindung von Angst, die Verschiebung der eigenen Grenzen kann unfassbar sensationell sein, sofern sie nicht alles blockiert und gar nichts mehr geht. Weil man halt einen entscheidenden Kampf gegen den eigenen Kopf gewinnt.
Ein bisschen kann ich immer noch nicht glauben, dass ich tat, was mich zu diesem Beitrag führt: Die Bezwingung des Pisciadù-Klettersteigs (hier bitte eine Pause und dramatische Sound-Effekte einfügen – und ja, jeder Kletterer mit Erfahrung wird jetzt schallend lachen). Es fühlte sich lustigerweise danach an wie einer dieser intensiven Träume nahe an der Wachphase, die so erschreckend realistisch sind. Der hier ist aber wahr.
Klettern war nie etwas, zu dem ich mir eine auch nur halbwegs vorhandene Affinität in die Biographie geschrieben hätte. Ich bin als Kind nie wirklich geklettert. Vor zwei Jahren probierte ich es zum ersten Mal aus und war nicht so völlig unbegabt wie ich es vermutet hätte. Es machte sogar Spaß! Im letzten Jahr folgte mein erster Klettersteig, die Kleine Cirspitze in den Dolomiten. Das war zunächst auch eine Überwindung, aber eher, weil ich den Anstieg deutlich beängstigender fand – schließlich hängt man da noch nicht gesichert in einem Seil.
Vor Kurzem folgte dann mein Klettersteig Nr. 3, der Pisciadù-Klettersteig, der letztes Jahr eigentlich schon auf der Liste stand, dann aber wegen einer kleinen Knieverletzung ausfallen musste. Und tatsächlich würde ich sagen, kein einziger Höhenmeter machte klettertechnisch Probleme, die Tritte fanden sich meist wie von selbst, ansonsten durch kurzes Innehalten und Betrachten der Wand. Das unerwartete Problem war für mich ein anderes: Die Länge der ausgesetzten Stellen – und die Kombination mit der Gesamtlänge des Klettersteigs. Die Kleine Cirspitze war in etwa 30-45 Minuten für mich als Kletter-Newbie zu bewältigen gewesen. Auch sie hat eine ausgesetzte Stelle, über die man aber recht schnell hinweg ist – und die ich in Anbetracht der vollen Konzentration auf die Bewältigung des ersten Klettersteigs quasi kaum wahrnahm.
Pisciadù ist noch mal ein etwas anderes Level – nicht unbedingt schwierigkeitstechnisch, sondern, was eben diese Ausgesetztheit angeht. Sie hörte quasi nicht mehr auf. Und es ist unvermeidlich, immer wieder in den Abgrund zu schauen, während man die Karabiner nacheinander umhängt. Ich habe keine Höhenangst, aber der Blick nach unten trotzte mir schon mehr als Respekt ab – was grundsätzlich natürlich auch ganz gesund ist. Klar, man ist gesichert. Aber dennoch, mein Kopf schrie: „Woah, ist das hoch! Was machst du hier? Bist du irre?“ Dazu kommt, dass quasi Pilgermengen den Klettersteig bevölkern und er wirklich irre voll ist, was bei dieser Art von Nervosität nicht hilft (vor allem, wenn gefühlt oder auch real zwei Meter dahinter schon ungeduldig mit den Karabinern geklackert wird). Ebenso wie der noch weit entfernte Gipfel, da die Gesamtroute etwa 2,5h lang ist.

Da hing ich also in der Wand, kletterte Höhenmeter um Höhenmeter nach oben, unausweichlich immer wieder in den Abgrund blickend. Mein Inneres quittierte jeden Tritt mit Unbehagen, vor allem ob des verdammtnochmalimmernochnichtsichtbaren Gipfels. Beziehungsweise Zwischen-Ausstiegs – denn man muss in diesem Fall nicht den Klettersteig finishen, sondern kann das letzte Stück alternativ auch nach oben wandern. Ich versprach mir fluchend selbst, keinen einzigen weiteren Meter als die bis dahin notwendigen zu klettern. Ich hatte zwar nicht das Gefühl, den Klettersteig nicht zu schaffen, ich wollte nur nicht mehr. Ich wollte nicht mehr da runter sehen. Erstmal zumindest.
Denn dann war er da, der Zwischenausstieg. Kleine Pause, volle Überzeugung, der Rest wird de-fi-ni-tiv gewandert! Und dann setzte sich das altbekannte Ehrgeiztier auf meine Schulter und flüsterte in mein Ohr: „Ja, wirklich? Ganz sicher! Es war ja nicht an sich schwierig. Manchmal muss man Herausforderungen annehmen und Dinge genau dann trotzdem machen. Feel the fear, do it anyway und so!“ Tja, und wer mich kennt, der weiß: Die Idee nahm Formen an. Zunächst in Form von Fragen an die bereits Pisciadú-erfahrenen Kletter-Begleiter: „Wie ist das letzte Stück so? Was macht die Ausgesetztheit?“

Lustigerweise ist das letzte Stück das offiziell schwierigste, was mir aber proportional recht wenig Bedenken machte. Die Ausgesetztheit lässt sehr nach. Tja nun, dann wieder rein, Klettersteig Runde 2! Ja, ganz sicher? Nein, ging aber trotzdem los. 😀 Und was soll ich sagen? Das letzte Stück war für mich gefühlt viel einfacher, auch wenn die Höhenmeter klettertechnisch als anspruchsvoller gelten. Es galt vor allem, die wieder gewonnene Ruhe zu bewahren, den Kampf gegen den eigenen Kopf weiter zu bestimmen – und zu gewinnen. Mit Gelassenheit (Gelassen! Ich!), mit sicheren Tritten auch an den durch die vielen Kletterer speckigen Stellen und sprichwörtlich außerhalb jeder Komfortzone. Aber es funktionierte technisch quasi problemlos und auch mental wurde es besser und besser. Und die anspruchsvollste Stelle, den Kamin, habe ich kaum bemerkt. 😀 Das ist dann wohl Fokus… Tja, und dann war sie da, die heiß ersehnte Hängebrücke, die das Ende des Klettersteigs markiert. Mission accomplished, I did it, das Gefühl, man kann quasi alles schaffen. Und damit ist’s dann doch eine unbezahlbare und sensationelle Erfahrung. (Und nachträgliche Routen-Beschreibungen bestärken mich: Die Strecke wird als anspruchsvoll beschrieben, nicht für Anfänger empfohlen (hrmpf) – daher war ein bisschen Kopfkino dann wohl voll ok. ;))
